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Startseite Aktuelles „Es ist entscheidend zu erkennen, dass wir die Möglichkeit haben und dass es uns gelingen könnte“

18. August 2023

„Es ist entscheidend zu erkennen, dass wir die Möglichkeit haben und dass es uns gelingen könnte“

Dr. Dirk Textor im Interview mit plasthip über den aktuellen Status des Kunststoffrecycling

plastship im Interview mit Dr. Dirk Textor, Vorstandsvorsitzender des bvse
  • Herr Dr. Dirk Textor, erzählen Sie uns doch zunächst bitte wer Sie sind: Was machen Sie? Wie sind Sie zu Ihren ganzen Positionen wie bspw. der Vorstandsrolle beim bvse gekommen? Für was setzen Sie sich ein?

Mein Name ist Dirk Textor und ich begleite wie Sie bereits angesprochen habe ehrenamtlich die Position des Vorsitzenden im bvse, dem Fachverband für Kunststoffrecycling. Nebenbei leite ich allerdings auch die Dr. Textor Kunststoff GmbH und betreibe die Dr. Textor Beratungsgesellschaft, in der ich – wie der Name bereits verrät – beratende Tätigkeiten im Bereich Kunststoff durchführe. Zusätzlich bin ich Angestellter bei der Otto Graf GmbH, einem Unternehmen, das Post-consumer-Rezyklate in verschiedenen Anwendungen zur Regenwassernutzung, -speicherung und -versickerung verwendet.

Meine Karriere in der Kunststoffrecycling-Branche, insbesondere im Bereich der Verpackungskunststoffe, begann allerdings bereits vor 25 Jahren. Ich begann meine Laufbahn bei der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet und wechselte dann zur damaligen Tochtergesellschaft des Grünen Punkts, der DKR. Zu dieser Zeit gab es nur ein duales System, das sich um das Recycling von Kunststoffen kümmerte. Durch diese Tätigkeit lernte ich viele Kunststoffrecyclinganlagen in Deutschland kennen und wechselte schließlich zu einem Kunststoffrecycler in Gescher, Westfalen, wo wir Mischkunststoffe, Folien und Polypropylen recycelten. Anschließend kam ich zu Otto Graf. Insgesamt durfte ich also fast die gesamte Wertschöpfungskette des Kunststoffs, insbesondere Kunststoffverpackungen, die zu Abfall wurden, sehr gut kennenlernen. Gerade in den letzten 3-4 Gliedern dieser Kette verfüge ich aufgrund meines Werdegangs über umfangreiche Erfahrung, ich habe in den letzten Jahren aber auch verstärkt daran gearbeitet, den vorderen Teil der Kette, also die Verpackungshersteller und Vertreiber in der Anwendung und Verarbeitung, bei der Rezyklate wieder eingesetzt werden, besser zu verstehen. Dadurch konnte ich insgesamt einen umfassenden Überblick über die Branche gewinnen, wenn auch nicht bis ins kleinste Detail.

Mein Weg zum bvse begann während meiner Tätigkeit bei der Firma in Gescher, als ich uns einfach als Mitglied vorschlug, um politisch auf dem neuesten Stand zu bleiben und natürlich auch etwas bewirken zu können. Denn es ist klar, dass man ohne Beteiligung keine Chance hat, etwas zu beeinflussen. Im Rahmen dieser Mitgliedschaft wurde ich schließlich in den Vorstand des Fachverbands gewählt, war eine Zeit lang stellvertretender Vorsitzender und begleite nun bereits seit 9 Jahren die Position des Vorsitzenden.

Durch diese Tätigkeit konnte ich zahlreiche Erfahrungen sammeln und mein Fachwissen erweitern. Außerdem habe ich viele großartige Menschen kennengelernt – deutlich mehr, als wenn ich nur in Gescher geblieben wäre. Persönlich habe ich also von dieser ehrenamtlichen Tätigkeit profitiert und bin insgesamt sehr zufrieden mit dem Verlauf meiner bisherigen beruflichen Laufbahn.

 

  • Wie schätzen Sie den aktuellen Status der Kunststoffrecyclingbranche ein?

Aus meiner Perspektive besteht derzeit im Kunststoffrecycling eine erhebliche Diskrepanz zwischen den tatsächlich im Kreislauf geführten Mengen und den damit verbundenen Themen und Problemen im Zusammenhang mit Kunststoffen. Die „Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2021“-Studie von Conversio liefert informative Daten über den aktuellen Einsatz von Kunststoffen, die Menge, die letztendlich im Abfall landet, und wie viel davon tatsächlich recycelt wird. Der Begriff „Recycling“ impliziert einen Kreislauf, der jedoch beim Post-consumer-Kunststoff alarmierend gering ist. Derzeit werden nur ca. 9% der eingesetzten Kunststoffmenge als Rezyklat recycelt. Diese 9% teilen sich grob in hochwertiges Recycling (auch bekannt als „neuwarenersetzendes“ Recycling) und in weniger hochwertiges Recycling auf, wobei oft als Beispiel die klassische Parkbank genannt wird. Die Zahlen zeigen deutlich, wie wenig tatsächlich in den Kreislauf zurückgeführt wird. Diese Thematik hat natürlich weltweit enormen Umfang, und es wird viel darüber gesprochen. Jedoch habe ich den Eindruck, dass die Fortschritte zu zaghaft und unzureichend sind, um mit dem Anstieg des Einsatzes von Kunststoffen Schritt zu halten. Zudem muss klar sein - und das wird in der Diskussion um die Kreislaufwirtschaft oft übersehen -, dass Recycling allein keine umfassende Lösung ist, sondern nur ein Teil davon. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Menge, die in den Kreislauf zurückgeführt wird, im Vergleich zum enormen Wachstum der Neuwarenkapazitäten gering ist. Es ist ein großes Problem, das mit Recycling allein nicht gelöst werden kann. Meiner Meinung nach wird in der Diskussion oft der Eindruck erweckt, dass das gesamte Problem durch verstärktes Recycling gelöst werden kann, was jedoch sicherlich nicht der Fall ist. Es sollte vorrangig darauf geachtet werden, Abfall grundlegend zu reduzieren und kurzlebige Kunststoffprodukte zu vermeiden. Wenn Kunststoffe dann jedoch als Abfall anfallen, ist das werkstoffliche Kunststoffrecycling unter ökologischen und klimatischen Gesichtspunkten zweifellos die beste Lösung, das kann man allgemein feststellen.

Eine zusätzliche Herausforderung, die sich hier ergibt, ist die Frage der Wirtschaftlichkeit. Das gilt sowohl für den vorderen Teil der Wertschöpfungskette beim Design for Recycling als auch – und insbesondere für das Recycling von Kunststoffen: „Es muss sich lohnen“. Es muss die Möglichkeit geben, damit seriös Geld verdienen zu können. Leider ist das derzeit beim Kunststoffrecycling nicht der Fall. Die Preise für Neuwaren sinken langfristig, und wenn man sich diese Zahlen ansieht, ist das durchaus besorgniserregend. Denn während die Kunststoffe im Grunde immer günstiger werden, steigen die Kosten für das Recycling aufgrund von Energie- und Personalaufwand logischerweise stetig an – und das passt einfach nicht gut zusammen.

Deshalb müsste man verstärkt CO2-Gutschriften entweder als Bonus für die Recycler oder als Aufschlag auf den Preis der Neuwaren einführen, um die Kluft zwischen dem Preis für Neuwaren und dem Preis für Rezyklate so groß zu machen, dass es sich für Kunststoffverarbeiter zunehmend lohnt, Rezyklate einzusetzen. Denn es wird oft übersehen, dass der Ursprung des Recyclings darin liegt, dass es kostengünstiger ist als die Herstellung und Verwendung von Neuwaren. Das gilt für Papier und Metall, und das sollte auch für Kunststoff gelten, da Verarbeiter natürlich immer lieber die günstigere Neuware einsetzen, wenn es keine Anreize gibt.

Aus meiner Sicht sehe ich derzeit also einen großen Knackpunkt in dieser Problematik, und wenn dem nicht schnell entgegengewirkt wird, sieht es für das Kunststoffrecycling düster aus.

 

  • Sind Sie der Ansicht, dass die richtigen Schritte schon eingeleitet wurden seitens der Regierung? (Stichwort Recyclingquoten, Mindestrezyklateinsatzmengen, etc.)

Quoten sind zweifellos ein Instrument, um das Recycling gesetzlich voranzutreiben, doch das bedeutet nicht unbedingt, dass der Recycler davon finanziell tatsächlich profitiert. Zwar entstehen dadurch größere Mengen im Umlauf, aber diese sind fast schon trivial. Denn es handelt sich hierbei nicht um die „wertvollsten“ Mengen, die durch die Quoten zusätzlich generiert wurden. Die „wertvollsten“ Materialien wurden bereits zuvor recycelt. Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Quoten dazu geführt haben, dass schwierig zu recycelnde Kunststoffe vermehrt recycelt werden mussten. In Bezug auf den Absatzbereich am Ende der Kette hat der Recycler jedoch nicht die besten Möglichkeiten, wenn er plötzlich Material vermarkten muss, das gestern noch verbrannt wurde und heute recycelt wird. Daher bleibt die Thematik nach wie vor schwierig. Wenn am Ende der Kette kein Anreiz besteht, Rezyklate einzusetzen, haben auch die bisherigen Maßnahmen wenig geholfen.

 

  • Wie gestaltet sich darauf aufbauend Ihre Zusammenarbeit mit uns als plastship? Wie kam es dazu?

Der Kontakt zu euch ist (zumindest von meiner Seite aus) auf einen glücklichen Zufall zurückzuführen. Ob es möglicherweise ein geplanter Zufall eurerseits war, kann ich nicht ausschließen. Auf jeden Fall habt ihr mich während der Kaffee-Pause eines VDI-Seminars in Hannover, bei dem ich einen Vortrag hielt, angesprochen und wir sind ins Gespräch gekommen. Seitdem tausche ich regelmäßig mit Andreas Bastian aus und wir versuchen gemeinsam, Unternehmen, die Kunststoffabfälle haben oder über Kreislaufsysteme nachdenken, mit potenziellen Recyclern und Wiederverwendern dieser Rezyklate zusammenzubringen. Darüber hinaus arbeiten wir zusammen an der Bewertung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen. plastship hatte mich damals ebenfalls gefragt, ob ich mich an den Auditierungen beteiligen und das Gegenchecken übernehmen würde sowie letztendlich das Zertifikat nach meiner Einschätzung unterzeichnen würde.

 

  • Wodurch sind Sie persönlich in dem Hinblick bevollmächtigt diese Unterschrift mit dieser Bedeutung setzen zu können?

Durch meine langjährige Erfahrung in der Recyclingbranche von Verpackungen habe ich mir eine gewisse Glaubwürdigkeit und Expertise erarbeitet. Ich kann gut beurteilen und einschätzen, ob eine bestimmte Verpackung recyclingfähig ist oder nicht, und ob dies den Tatsachen entspricht. Ich kann dennoch sagen, dass ich im Zuge dessen auch sehr stolz darauf bin gemeinsam mit plastship diese Aufgabe zu übernehmen. Schließlich arbeitet ihr als plastship eng mit Plastic Recyclers Europe zusammen, die natürlich darauf bedacht sind, dass die Audits für diese Verpackungen nicht von „irgendjemandem“ durchgeführt werden.

 

  • Was macht Ihnen Spaß an der Kooperation?

Die Zusammenarbeit mit plastship bereitet mir vor allem durch den Kontakt mit Andreas Bastian viel Freude. Wir pflegen einen offenen, angenehmen und fairen Umgang miteinander und kommen gut miteinander aus. Dabei geht es nicht nur um konkrete Geschäfte, sondern vielmehr darum, dass wir gegenseitig auf dem Laufenden halten, uns unterstützen und in Kontakt bleiben. Wir klären Fragen gemeinsam, vermitteln weiter und stehen einander zur Seite. Diese wechselseitige Unterstützung funktioniert ausgezeichnet zwischen uns und ich bin sehr glücklich über unsere Zusammenarbeit.

 

  • Wie wichtig sind solche Kooperationen aus Ihrer Sicht für die Branche?

Die Zusammenarbeit zwischen Personen wie mir und digitalen Plattformen wie plastship, insbesondere wenn sie als Netzwerke fungieren, halte ich grundsätzlich für äußerst wichtig. Denn junge Menschen nutzen digitale Medien auf eine ganz andere Art und Weise als meine Generation. Gerade in unserer Branche verfügen Menschen in meinem Alter allerdings oft über ein enormes Fachwissen. Mir bereitet es Sorgen, dass dieses Wissen verloren geht, wenn diese Experten in Richtung Rente gehen. Denn bei uns findet ein großer Teil des Networking und Wissenstransfers immer noch analog statt, beispielsweise bei Grillabenden im Rahmen unserer kürzlich abgehaltenen Veranstaltung des Altkunststofftags vom bvse in Dresden. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben würde diese Art des Austauschs natürlich wegfallen, und viele erfahrene Personen mit 30 bis 40 Jahren Berufserfahrung könnten nicht mehr ihr Fachwissen einbringen. Wenn digitale Plattformen in Zusammenarbeit mit diesen Personen eine Möglichkeit bieten, ihr Wissen praktisch zu digitalisieren und nachhaltig in der Branche zu erhalten, halte ich solche Kooperationen sogar für „überlebenswichtig".

 

  • Was lässt Sie abschließend nach Ihrer Einschätzung des Kunststoffrecycling dennoch positiv für die Branche in die Zukunft blicken?

Ich habe einst ein Buch von Hans Rosling gelesen, einem Schriftsteller und Mediziner, der auch viel für die UNO und UNESCO getan hat. Er hat sinngemäß gesagt und durch verschiedene Untersuchungen belegt: „Ich bin kein Optimist, ich bin kein Pessimist, ich bin ein Possibilist.“ Er glaubt daran, dass es immer möglich ist. Diese Aussage finde ich auch auf die Kunststoffrecyclingbranche anwendbar. Gerne verwende ich in dem Zusammenhang eine Anekdote mit unserem ehemaligen Regierungschefs Willy Brandt. Wie dieser einst zu Zeiten des grauen Ruhrgebiets sagte: „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden.“ Damals wurde er dafür belächelt, aber wenn man heute hinschaut, hat sich die Welt hier im Ruhrgebiet deutlich verändert und verbessert. Natürlich ist noch nicht alles optimal, aber im Rhein schwimmen wieder Fische, und es hat sich einiges zum Positiven gewendet. Daher glaube ich, dass Veränderungen immer möglich sind - vielleicht nicht immer schnell und allumfassend, aber grundsätzlich umsetzbar. Deshalb sollten wir uns in der Branche nicht von der Negativität überwältigen lassen, denn dann ist gar nichts möglich. Aber wir sollten auch nicht nur optimistisch sein und letztendlich nichts unternehmen. Es ist entscheidend zu erkennen, dass wir die Möglichkeit haben und dass es uns gelingen könnte - das ist von allergrößter Bedeutung. 

Falls Sie Fragen oder Anregungen haben, melden Sie sich gerne bei mir.

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